Andreas Greif, der seinen Namen nach der
damals üblichen Mode latinisierte, ist der bedeutendste Lyriker des Barock.
Seine Gedichte umfassen nur einige Themen, die aber immer wieder neu
variiert werden. Eines der wichtigsten Themen ist die Vergänglichkeit allen
irdischen Lebens.
In diesem Gedicht schildert Gryphius den
Krieg als äußerliche und
innerliche Katastrophe. In seinem Sonett zeigt Andreas Gryphius die
Grausamkeit des Dreibigjährigen Krieges auf.
Der Dreibigjährige
Krieg, der als
Glaubenskrieg begonnen hatte, wurde zu einem Krieg um die Vorherrschaft in
Europa. Es ging dabei um die Stellung des Hauses Habsburg. Frankreich
verfolgte das Ziel, die Umklammerung durch Habsburg-Spanien aufzubrechen.
Der Krieg wurde hauptsächlich auf deutschem Boden ausgetragen. 1648 endete
der Krieg mit dem Westfälischen Frieden. Im Westfälischen Frieden wurde der
Augsburger Friede von 1555 bestätigt. Der Augsburger Friede sah vor, dass
jeder Landesfürst frei darüber entscheiden konnte, ob er evangelisch oder
katholisch sein wollte. "Wes das Land, des der Glaube." Habsburg verlor
seine Vormachtstellung in Europa.
Der
Titel enthält Schlüsselwörter
Tränen /
Anno 1636
Schon die Überschrift zeigt dem Leser,
dass ihn eine Klage über die Situation im Kriegsjahr 1636 erwartet. Die
Ereignisse spielen sich im Siebzehnten Jahrhundert ab, das durch den
30jährigen Krieg bestimmt ist. Gryphius spielt in diesem Gedicht auf die
Grauen und die Folgen dieses Krieges an.
Vaterland
Gemeint ist der Ort, wo der
Dichter geboren wurde. Es gab damals kein einheitliches Deutschland.
Strophe 1 / Das erste Quartett
Die erste Zeile setzt mit
dem Personalpronomen" wir" ein.
Was ist daraus zu schlieben ? Der
Dichter berichtet von dem, was er selbst erlebt hat. Er nimmt sich mit
hinein in das Geschehen des Krieges. Er hat die Katastrophe miterlebt. Er
gehört zu denen, die von dem furchtbaren Schicksal betroffen wurde. Gryphius
wurde 1616 geboren und starb 1664.
In diesem ersten Vers gibt uns
der Dichter ein allgemeines Bild von dem, was geschehen ist. Er
unterstreicht das Ausmab der Katastrophe. Die erste Zeile beginnt nämlich
mit der Feststellung, dass das ganze Land, alle Menschen vom Heerwesen
betroffen sind. Der Dichter bedient sich einer Superlativform [mehr denn
ganz), um dem Leser das Ausmab der Katastrophe anschaulich zu machen. Es
entsteht das Bild einer totalen Verwüstung.
Zeile 2
und Zeile 3
Im zweiten und im vierten Vers
gebraucht der Dichter vier Bilder, um das grauenhafte des Krieges zu
veranschaulichen. Er zeigt in starken, emotionsgeladenen Bildern die
Grausamkeiten des Krieges auf. Es ist die Rede
von bluttriefenden Schwertern
von donnernden Karthaunen (von Geschützen)
von frechen Völkern (Soldaten)
und von rasenden Posaunen.
Die Posaun erinnert an die Bibel
und an Jericho. Wo liegt Jericho ? in Judäa, das Land liegt westlich des
Toten Meeres. Es ist eine biblische Reminiszenz. Josua vor der Stadt
Jericho. Josua war der Nachfolger des Moses in der Führung der
israelitischen Stämme nach Palästina. Beim Ertönen der Posaunen stürzten die
Mauern zusammen. [Quand il entendit le son de
la trompe, le peuple poussa un grand cri de guerre, et le rempart s'écroula
sur place]. Ob diese Menschen von Gott
bestraft worden sind ? Hat sie Gott verlassen ?
DAS BUCH JOSUA Kapitel 6
"Jericho aber war verschlossen und verwahrt
vor den Israeliten, so daß niemand heraus- oder hineinkommen konnte. Aber
der HERR sprach zu Josua : Sieh, ich habe Jericho samt seinem König und
seinen Kriegsleuten in deine Hand gegeben. Laß alle Kriegsmänner rings um
die Stadt herumgehen einmal, und tu so sechs Tage lang. Und laß sieben
Priester sieben Posaunen tragen vor der Lade her, und am siebenten Tage
zieht siebenmal um die Stadt, und laß die Priester die Posaunen blasen. Und
wenn man die Posaune bläst und es lange tönt, so soll das ganze Kriegsvolk
ein großes Kriegsgeschrei erheben, wenn ihr den Schall der Posaune hört.
Dann wird die Stadtmauer einfallen, und das Kriegsvolk soll hinaufsteigen,
ein jeder stracks vor sich hin."
Als die Israeliten das verheißene Land
betraten, war das Land schon bewohnt. Die Israeliten mussten den
Eroberungskrieg führen und das Land einnehmen. Die Stadt Jericho war die
erste Stadt, die eingenommen werden musste. An Jericho konnten die
Israeliten nicht vorbeiziehen. Aber Jericho war die unbesiegbare Festung.
Die Bewohner in Jericho hatten von den Siegen Israels gehört und ihr Herz
war voll von Furcht. Sie wollten nicht gegen Israel kämpfen, sondern machten
die Toren zu. Wie konnten die Israeliten Jericho einnehmen ? Sie waren
unbewaffnet. Die Mauern Jerichos fielen am siebten Tag der Belagerung,
nachdem die Israeliten auf Gottes Anweisung siebenmal rund um die Stadt
herumgezogen waren und die Priester ihre Posaunen geblasen und das Volk ein
Kriegsgeschrei erhoben hatte.
Das erste Quartett endet
mit der Folgerung, dass
durch diesen Krieg alle positiven Werte, wie Schweib
und Fleiß und Vorrat"
aufgezehrt sind, verlorengegangen sind.
Welches sind die Konsequenzen / die Folgen des
Krieges ?
Das Volk ist 'ohne Fleib : ganz und gar
entmutigt
seine früheren Anstrengungen sind zugrunde
gerichtet : hat aller Schweiß
aufgezehret
dem Volk bleibt nicht mehr übrig. : es hat
keinen Vorrat mehr.
Der Krieg hat es also nicht nur seiner
materiellen Güter, sondern auch seiner geistigen Kraft beraubt.
Strophe 2 / das zweite Quartett
Das zweite Quartett führt diesen Gedanken
weiter. Es malt die Wirkung der Verwüstungen aus. Wieder wird in einer
Bilderhäufung in Halbversen die Aussichtslosigkeit aufgezeigt. Jeder
Halbvers enthält ein Bild, das einen symbolischen Wert hat.
Die Worte, die
Gryphius hier aneinanderreiht, sind mehr als Worte, sie sind Zeichen einer
Endzeit, einer Apokalypse.
Im vierten Vers fasst der Dichter
die Folgen des Krieges zusammen : im ersten Halbvers von einem materiellen
Standpunkt aus, im zweiten Halbvers von einem "moralischen" Standpunkt aus.
Beide Bereiche scheinen eng miteinander verbunden zu sein. Feuer, Pest und
Tod weisen auf apokalyptische Zustände hin, sie weisen auf das
hereinbrechende Chaos in äußerster
Steigerung hin.
Strophe 3 / das erste Terzett
Im ersten Terzett
bringt Gryphius ein kaum an schrecklicher Darstellung zu überbietendes Bild.
Dieses Terzett beschwört das Bild der Apokalypse noch einmal herauf. Die
Stadt wird durchschwemmt von Blut und Leichen. Das Unerträgliche erreicht
seinen Höhepunkt. Der Ausdruck "dreimal sechs Jahr" erweckt einen Eindruck
von Dauer, erweckt den Eindruck, als ob der Krieg noch länger gedauert
hätte. Damit
vermittelt uns der Dichter das Bild von Leiden, die kein Ende nehmen wollen.
Die Zeit scheint nämlich länger zu dauern.
Strophe 4 / das zweite Terzett
Die erste Zeile beginnt mit "Doch". Man erfährt, dass
es noch etwas Schlimmeres gibt. Die Komparativformen "ärger", grimmer"
tragen dazu bei, die Spannung zu erhöhen. Es gibt etwas
Ärgeres als
alles vorher Genannte. Man erfährt, "daß
auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen" wurde.
Was ist mit "der Seelen Schatz"
gemeint ? Was will der Dichter damit sagen ?
Viele haben den Glauben verloren.
Ihre Seele ist verdorben. Die Menschen sind ungläubig geworden. Der Verlust
des Seelenheils ist die schlimmste Folge des Krieges. Der Vers kann als eine
Warnung betrachtet werden. Man muss wenigstens seine Seele retten.
Schlussbemerkungen
Dieses Gedicht ist charakteristisch für die Epoche des Barock. Gryphius
beklagt die geistige und sittliche Verkommenheit seiner Zeit, den Untergang
der Ethik und Moral. Das Gedicht zeigt den der Epoche innewohnenden
Dualismus Diesseits / Jenseits. Es verschafft uns ferner einen Einblick in
die damalige Situation. Zucht und Sitte hatten nachgelassen.