1843 beschloss Heinrich Heine nach
Deutschland zurückzukehren. Er befand sich nämlich seit zwölf Jahren in
Paris, weil er besonders in Preußen als Jude und kritischer Schriftsteller
nicht willkommen war. 1844 kam er nach Paris zurück, und seinem in Versen
abgefassten Reisebericht gab er den Titel Deutschland. Ein Wintermärchen.
In diesem Werk setzt sich Heine in erster Linie mit dem Barbarossa-Mythos
auseinander.
1152 wählten die deutschen Fürsten
Friedrich von Schwaben aus der Familie Hohenstaufen zum König. 1154 wurde
er in Italien zum Kaiser gekrönt. Friedrich, der den Beinamen Barbarossa
hatte, galt als das Vorbild eines ritterlichen Menschen : er liebte den
Kampf und war für seinen Sinn für Gerechtigkeit berühmt. Es gelang ihm,
die Macht des Reiches wiederherzustellen. 1190 ertrank er auf dem dritten
Kreuzzug in dem Fluss Saleph. Barbarossa blieb dem Deutschen Volk lebhaft
im Gedächtnis und aus dem Kaiser wurde eine mythische Gestalt. Die Sage
erzählt von Barbarossas Zauberschlaf in einem Berg, entweder im
Kyffhäusergebirge in Thüringen oder im Untersberg bei Salzburg.
In späteren Jahrhunderten, vor allem im
19. Jahrhundert, ersehnte das Volk Barbarossas Rückkehr, damit aus
Deutschland wieder ein geeintes und freies Land werde. Im 19. Jahrhundert
war Deutschland nämlich ein in mehrere Kleinstaaten gespaltetes Land. Es
bestand aus Preußen, monarchistischen Staaten und vier freien
Stadtrepubliken. Der Wiener Kongress im Jahre 1814 führte zur Gründung des
Deutschen Bundes, in dem jedes Mitglied souverän war, sowie zur Heiligen
Allianz. Die Heilige Allianz war ein Instrument der Repression, das dazu
dienen sollte, die vorrevolutionäre politische Ordnung wiederherzustellen.
Die Gestalt Barbarossas verkörperte die Ideale der Einheit und der
Freiheit und wurde von vielen Dichtern besungen.
Bei Heine wird
Barbarossa auch von vornherein als eine Märchengestalt dargestellt, eine
Gestalt also, die nur in der Phantasie der Menschen existiert. Es ist von
einer Höhle die Rede, und nicht mehr von einem Schloss. Seine Welt ist
eine tote Welt : "Jedoch von diesen Rossen / Kein einziges wieherte, kein
einziges stampft " - "Doch alle diese Braven / sie rühren sich nicht,
bewegen sich nicht" /. Heine scheint sogar die mythische Gestalt zu
verspotten, indem er schreibt : "Schläft er oder denkt er nach ?" Ferner
heißt es auch : "Er hatte aus der Oberwelt / Kein Sterbenswort erfahren".
Heine gibt damit zu verstehen, dass der Kaiser eine Gestalt der
Vergangenheit ist und nicht der Gegenwart. Heines Worte weisen darauf hin,
dass Barbarossa überflüssig ist. (Bedenk ich die Sache ganz genau / So
brauchen wir gar keinen Kaiser") Das Volk selbst muss sein Schicksal in
die Hand nehmen. Der Dichter ironisiert sogar die Naivität derjenigen, die
auf Barbarossas Rückkehr warten : "Wie klingen sie lieblich, wie klingen
sie süß / Die Märchen der alten Amme". Dass er der Gestalt Barbarossas
wenig Bedeutung beimisst, zeigt die Tatsache, dass er den alten König
duzt, was ein Zeichen der Respektlosigkeit ist : "Schlag los, du alter
Geselle". Heine erweist sich hier als ungeduldiger Revolutionär : "Schlag
los, und hast du nicht Pferde genug / nimm Esel an ihrer Stelle". Kein
Wunder auch, dass er dem alten Kaiser von dem Schicksal Ludwigs 16. und
von der Guillotine erzählt. Die eventuelle Befreiung Deutschlands durch
Barbarossa vollzieht sich nur in den beiden Träumen des Dichters. Im
ersten Traum verzichtet der Dichter lieber auf Barbarossas Hilfe, da
dieser die Französische Revolution missbilligt und an den alten Werten
festhält : "Der König und die Königin ! / Geschnallt ! an einem Brette! /
Das ist ja gegen allen Respekt / Und alle Etikette !" Im zweiten Traum tut
der Dichter so, als ob er Barbarossas Rückkehr ersehne, bezeichnet zwar
"Das alte heilige römische Reich" als "modrigen Plunder", aber scheint der
gegenwärtigen Tendenz, das Kaisertum zu verklären, das "wahre" Mittelalter
vorzuziehen. Heine prangert hier die Konservativen an, die von einer
Zukunft träumen, die auf die Werte der Vergangenheit baut und deswegen nur
ein "Zwitterwesen" sein kann.
Heine geht rakidal vor. Die Sage
wird überwunden, der Dichter erstrebt eine Revolution von unten, das
heißt, eine Revolution, die vom Volk ausgeht.