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Heinrich Heine – Die Lorelei

 

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten

Daß ich so traurig bin;

Ein Märchen aus alten Zeiten

Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

 

Die Luft ist kühl und es dunkelt,

Und ruhig fließt der Rhein;

Der Gipfel des Berges funkelt

Im Abendsonnenschein.

 

Die schönste Jungfrau sitzet

Dort oben wunderbar,

Ihr gold'nes Geschmeide blitzet

Sie kämmt ihr gold'nes Haar.

 

Sie kämmt es mit gold'nem Kamme

Und singt ein Lied dabei;

Das hat eine wundersame

Gewaltige Melodei.

 

Den Schiffer im kleinen Schiffe

ergreift es mit wildem Weh,

Er schaut nicht die Felsenriffe,

Er schaut nur hinauf in die Höh'.

 

Ich glaube, die Wellen verschlingen

Am Ende Schiffer und Kahn;

Und das hat mit ihrem Singen

Die Lorelei getan.

 

 

Dieses Gedicht ist dem Buch der Lieder entnommen.

Das Gedicht besteht aus 6 Vierzeilern.

 

Strophe 1

Der Gemütszustand  des Dichters.

Ihm ist traurig zumute.

Er gibt den  Grund für seine Traurigkeit an.

 

Strophe 2

Der Dichter schildert eine besondere Atmosphäre.

Diese Atmosphäre entsteht aus dem Kontrast zwischen dem Unheimlichen und dem Friedlichen in den Versen.

 

Die Zeilen 1 und 3 - sowie die Zeilen 2 und 4 - weisen eine Parallelität auf.

In den Zeilen 1 und 3 treten unheimliche Elemente auf :

 "Die Luft ist kühl und es dunkelt"  

"Der Gipfel des Berges funkelt“

Zu beachten sind dabei die u- und ü-Klangfarben, die zur Entstehung des unheimlichen Eindrucks beitragen.

 

Die Zeilen 2 und 4 erwecken einen Eindruck des Friedlichen :

"ruhig"

"Im Abendsonnenschein".

Auffallend ist in der zweiten Zeile die Länge der Vokale, die den langsamen Fluss des Rheins veranschaulichen :

"Und ruhig fliebt der Rhein."

 

Strophe 3

Sie ist der Beschreibung der Lorelei gewidmet.

Ihre Schönheit

Der Dichter gebraucht die Superlativform "die schönste"

Das Zauberhafte ihres Wesens 

Das Adjektiv "golden", das zweimal wiederholt wird, und das Verb "blitzet" erwecken einen Eindruck von Lichthaftigkeit und Reinheit

Die Ortsangabe "dort oben" hat einen symbolischen Wert  :                                                               

            Die Lorelei ist ein unerreichbares Wesen.  Die "Liebe" des Schiffers zur Lorelei ist also von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

 

Strophe 4

Seelische Beschreibung der Lorelei.

Das Lied ist der Spiegel ihrer Seele.

Die Lorelei singt eine "wundersame, gewaltige Melodei".     Beide Adjektive weisen auf das Zauberhafte der Lorelei zurück und deuten auf die Macht - vielleicht auch auf die Grausamkeit - der Lorelei hin.

 

Strophe 5 und Strophe 6

Der Schiffbruch des Schiffers.

Dem Schiffer erliegt dem Zauber der Lorelei.

"Den Schiffer im kleinen Schiffe

Ergreift es mit wildem Weh;"

Das Adjektiv "klein" ist symbolisch zu verstehen. Es bringt die Ohnmacht des Schiffers zum Ausdruck.

Die Wörter "wild" und "Weh", deren Sinn durch den w-Stabreim klarer herausgestellt wird, lassen das Ausmaß  seines Leidens und die Grausamkeit der Lorelei ermessen.

Der Schiffer ist von diesem außergewöhnlichen Wesen verzaubert. Er übersieht die Gefahr.         

 

Strophe 6

Die Alltagswelt.

Der Bann ist gebrochen.

Die Lorelei allein ist schuld an dem traurigen Schicksal des Schiffers. Das Wort Lorelei steht nämlich am Anfang der Zeile.