INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
DIE KRISE IN
ENGLAND
A -
VORMARSCH DER RINDERSEUCHE
B - DAS
BRITISCHE HERSTELLUNGSVERFAHREN VON TIERMEHL UND SEINE KONSEQUENZEN FÜR
DEN VERBRAUCHER
C - DIE
REAKTIONEN DER REGIERUNG, DER LANDWIRTE UND DER GASTSTÄTTENGEWERBE
DIE KRISE IM
ÜBRIGEN EUROPA
A - DIE
EUROPÄISCHE SOLIDARITÄT
B - DAS
VERHALTEN DER DEUTSCHEN KONSUMENTEN
C - DIE VON
DER DEUTSCHEN REGIERUNG GETROFFENEN MAbNAHMEN
DIE BEKÄMPFUNG
DES RINDERWAHNSINNS
SCHLUSSBEMERKUNGEN
QUELLEN
Am 21. März 1996 wurde von Ärzten des Western General Hospital in
Edinburgh eine Studie veröffentlicht, die einen möglichen Zusammenhang
zwischen dem sogenannten Rinderwahnsinn [BSE = Bovine Spongiform
Enzephalopathie] und der Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen
feststellte.
Bei diesen beiden Krankheiten findet man im Gehirn der Patienten
"Prionen", das heißt, Eiweißstoff, der das Hirn löchrig wie ein Schwamm
[Der Spiegel vom 25.3.96] werden lässt. Schon seit über dreihundert Jahren
war diese Krankheit bei den Schafen als Scrapie diagnostiziert worden.
Aber die Öffentlichkeit ignorierte, dass
die Schafskadaver zur Herstellung von Tiermehl verwendet wurden, anders
gesagt, dass
Pflanzenfresser mit Tierkadavern gefüttert wurden.
Die Veröffentlichung der Erkenntnisse der Mediziner über die
wahrscheinliche Übertragbarkeit der Rinderseuche BSE auf den Menschen
löste sowohl in England als auch im übrigen Europa Protestbewegungen,
Entrüstung und Besorgnis aus. Verbraucher und Verbraucherverbände bekamen
das Gefühl, überrumpelt worden zu sein, boykottierten Rindfleischprodukte
und verlangten von den europäischen Politikern sofortige Mabnahmen zur
Eindämmung der Seuche und Garantien über die Herkunft des Rindfleisches.
Die europäischen Landwirte fürchteten einen Zusammenbruch des Marktes und
forderten finanzielle Entschädigungen, um den Gewinnausfall
auszugleichen.

B - Das britische
Herstellungsverfahren von Tiermehl und seine Konsequenzen für den
Verbraucher
Das Tiermehl wurde anfänglich aus Tierkadavern, auch aus an
Scrapie erkrankten Schafen, bei hoher Temperatur produziert. Aber Ende der
siebziger Jahre änderte Großbritannien dieses Herstellungsverfahren, wobei
die Temperatur gesenkt wurde. Die Senkung der Temperatur hatte zwar den
Vorteil, die Produktionskosten zu senken, aber sie wirkte sich auch
negativ auf die Qualität der Sterilisierung des Fleischmehls aus.
1985 wurde in England der erste Fall von BSE entdeckt. Das Verbot
des Verkaufs von BSE- verseuchten Gehirnen, Innereien, usw. wurde aber in
England erst 1989, das heißt, vier Jahre später, erlassen. Daraus wird für
alle klar, dass jeder, der zwischen 1985 und 1989 Rinderfleisch gegessen
hat, Gefahr läuft, in ungefähr zwanzig Jahren von der BSE-Krankheit
befallen zu werden, da die Inkubationszeit des Creutzfeld-Jakob-Syndroms
von fünf bis dreißig Jahren dauert.
1988 verbot die britische Regierung die Fütterung der Rinder mit
Scrapie-verseuchten Schafüberresten.
Nun musste Grobbritannien
die Konsequenzen aus seiner verantwortungslosen Agrarpolitik ziehen.
1 - Die
Regierung
Die britische Regierung kann die Notschlachtung des gesamten
britischen Rinderbestands von zwölf Millionen Tieren veranlassen, wenn
Wissenschaftler das zum Verbraucherschutz nahelegen. [FAZ vom 22.3.96]
So lauteten die Worte des britischen Gesundheitsministers Dorrel, die er
am 21. März 1996 nach der Bekanntgabe des Zusammenhangs zwischen dem
Konsum von BSE-infiziertem Rindfleisch und der Creutzfeld-Jakob-Krankheit
aussprach. Damit bekundete die britische Regierung ihren guten Willen.
Bald aber erkannte die britische Regierung,
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dab
sie einerseits nicht in der Lage war, die hohen Kosten der Notschlachtung
zu tragen - Die Schlachtung der kompletten Herde (.....) wird (.....)
nicht mehr in Erwägung gezogen, da dies (.....) für Grobbritannien
Kosten von bis zu 20 Milliarden Pfund bedeuten würde.
[FAZ vom 26.03.96]
ð
dab
es andererseits dringend notwendig war, die Agrarwelt vor dem
Zusammenbruch zu schützen und die öffentliche Meinung zu schonen.
·
Am 25. März war die Zahl der Notschlachtung zu 4,5 Millionen Tieren
gefallen.
·
Nach der Entscheidung der Europäischen Union am 22. März 1996, ein
Exportverbot für britisches Rindfleisch zu verhängen, versuchte London
schon am 26. März dieses Verbot zu verhindern : Das Exportverbot ist
vollkommen ungerechtfertigt, sagte der englische Premierminister John
Major. [FAZ vom 27.3.96]
2 - Die
Landwirte
Die Landwirte fürchteten sich vor der Notschlachtung eines Teils der
Rinder. Ihre Exportaussichten waren schon wie bei Null. Die Bauern, die
Rindfleisch produzierten, und auch die, die Milchkühe züchteten, meinten,
nur die Herden, in denen BSE vorkäme, sollten notgeschlachtet werden. Bei
den Landwirten sammelte sich Groll über die Inkonsequenz der britischen
Regierung an.
Die Äuberung
des Landwirts Robert Whitcombe verschafft einen Einblick in die damalige
Stimmung : Die Regierung hätte schon damals die Notschlachtung
sämtlicher Kühe, die mit BSE infiziert waren, anordnen müssen. Jetzt
trifft es uns alle. [ FAZ vom 1.4.96]
Whitcombe war besorgt um seine eigene Herde, die niemals BSE
bekommen hatte. In sein Futter hatte er niemals Kadaver aus kranken Tieren
gemischt. Er stellte das Futter mit Getreiden selbst her. Der britische
Bauer hegte ferner die Hoffnung, dass nicht alle Rinder in Großbritannien
notgeschlachtet werden müssten.
Whitcombe war keine Ausnahme. Anderen Landwirten erging es auch
so und sie empfanden die geplanten Vorkehrungen als ungerecht.
Als die britische Regierung schließlich den Entschluss fasste,
keine Rinder zu schlachten, um der Vertrauenskrise bei in- und
ausländischen Verbrauchern ein Ende zu setzen, lieb
die Reaktion der Landwirte nicht auf sich warten : Die Entscheidung der
Regierung wurde scharf kritisiert, denn die getroffenen Maßnahmen der
Regierung reichen nicht aus. [FAZ vom 27.3.96]. Die Landwirte sowie
die Fleischindustrie waren nämlich der Ansicht, dass dieser Entschluss
nicht dazu angetan war, das Mibtrauen
der Verbraucher zu zerstreuen. Deshalb forderten sie wenigstens die
Notschlachtung der älteren Kühe und Rinder [FAZ vom 27.3.1996].
Die Landwirte standen vor einem doppelten Problem : einerseits
konnten sie wegen des Exportverbots der EU ihr Fleisch nicht mehr nach
Europa exportieren. Andererseits konnten sie das Rindfleisch nicht mehr im
Inland verkaufen, denn es wurde überall kein englisches Rindfleisch mehr
verbraucht : Auch Britisch Airways bietet auf seinen Flügen kein
britisches Rindfleisch mehr an [FAZ vom 27.3.96].
3 - Das
Gaststättengewerbe
Die Rinderseuche sorgte in der Bevölkerung für grobes Aufsehen und
weckte das Mibtrauen
des Konsumenten. Den Fachzweigen der Restaurierung oblag es nun vor allem
darum, ihre Kundschaft zu beruhigen. Die Restaurantkette McDonald's zum
Beispiel beschloss, den Verkauf von Hamburgern einzustellen und künftig
das Rindfleisch nur noch aus Holland zu importieren.
A -
DIE EUROPÄISCHE SOLIDARITÄT
Am 27. März 1996 verhängte die Europäische Union ein Exportverbot
für Rindfleisch und Lebendvieh aus Großbritannien [FAZ vom
28.3.96]. Diese Entscheidung war aber keine politische und wirtschaftliche
Ausgrenzung für England, sondern eine Maßnahme, um die Gesundheit der
europäischen Bevölkerung zu schützen.
Zwei Tage später, am 29. März, bei dem EU-Gipfel in Turin, kam
die BSE-Krankheit wieder in Frage. Aber auch wenn der britische
Premierminister John Major darauf hinwies, dass
es kein britisches Problem sei, sondern ein europäisches, befassten
sich die in Turin versammelten Regierungschefs und Minister
überhaupt nicht mit einem Problem, das offenbar viele Bürger beschäftigte.
[FAZ vom 30.3.96].
Die Haltung der europäischen Verantwortlichen ließ einen
Augenblick an der europäischen Solidarität zweifeln, denn in Turin
stand aber noch mehr auf dem Spiel : die europäische Solidarität
[Spiegel vom 1.4.1996], so der deutsche aubenpolitische
Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Lamers.
Letzten Endes gewann die Solidarität die Oberhand : Unter dem
Wort "Solidarität" war eine finanzielle Solidarität zu verstehen. Die EU
versprach London eine Finanzhilfe.
Die Deutschen nehmen Abschied vom Fleisch [Der Spiegel
vom 25.3.96]. Die Krise hatte nämlich die "Vegetarier-Bewegung"
verstärkt. Dieser Trend lieb
sich vor allem bei den Jugendlichen beobachten. Von den 14- bis
28jährigen, so ergab eine Studie des landwirtschaftlichen Bildungszentrums
Nordbayerns, verzehrt bereits jeder 20. kein Fleisch mehr. [Der
Spiegel vom 25.3.96] Diese Entwicklungstendenz zeichnete sich aber
schon seit ein paar Jahren ab : im Laufe der Jahre essen die Deutschen
weniger Rindfleisch. Sie greifen lieber zu Lamm, Schwein oder Geflügel.
Damit ihre Kunden nicht abwanderten, versuchten die
Fast-Food-Lokale wie McDonald's in Deutschland, die Bevölkerung zu
beruhigen : McDonald's Deutschland hat noch nie Fleisch aus
Großbritannien verwendet und wird dies in Zukunft nicht tun. [FAZ vom
26.3.96] Es wurde auch behauptet, Rindfleisch werde für die deutschen
Hamburger von kleinen bäuerlichen Betrieben aus Süddeutschland bezogen.
Die Deutschen boykottierten auberdem
englische Rinderprodukte wie Gelatine und Talg. Deutsche Forscher
weigerten sich, sich gegen einen Zusammenhang zwischen den verseuchten
Rinderprodukten und der BSE-Krankheit auszusprechen : Wir können nur
sagen, Gelatine ist ungefährlicher als Rindfleisch oder Nervengewebe. Aber
es ist nicht möglich, eine hundertprozentige
Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, sagte Armin Giese,
Neuropathologe an der Universität Göttingen. [Die Zeit vom 31.5.1996]
C -
DIE VON DER DEUTSCHEN REGIERUNG GETROFFENEN MAbNAHMEN
Deutschland nahm die Nachricht ernster als die anderen
europäischen Länder : In Deutschland wird der Ruf nach einem
Einfuhrverbot lauter [FAZ vom 22.3.96]. Die deutsche Regierung ordnete
nämlich sofort ein Importverbot für englisches Rindfleisch an, bevor die
Europäische Union es entschied. Dieser Entschluss wurde von der SPD
begrüßt : für den sozialpolitischen Sprecher Dreßler und den
gesundheitspolitischen Sprecher Kirschner sei es längst überfällig
gewesen.
Dieses Importverbot galt aber nicht nur für englisches
Rindfleisch, sondern auch für Schweizer Rindfleisch. In der Schweiz wurden
nämlich in den vergangenen Jahren 130 kranke Tiere gezählt, unter denen
vierzehn neue Fälle von BSE-Krankheit von Januar bis März 1996.
Schon zwei Tage nach dem Turiner EU-Gipfel erwarteten die
Regierungen der europäischen Länder rasche Fortschritte [FAZ vom
1.4. 1996] bei der Bekämpfung der Rinderseuche. Diese Bekämpfung war der
Kern des Rinderwahsinn-Problems geworden, um so mehr, als in Deutschland
die Nachfrage nach Rindfleisch zu 65 Prozent zurückgegangen war. Dieser
Rückgang erklärte sich dadurch, dass die Bevölkerung sich vor der Seuche
BSE fürchtete.
Die europäischen Länder einigten sich auf mehrere Punkte, um den
Rinderwahnsinn zu bekämpfen und infolgedessen die europäische Bevölkerung
zu beruhigen :
·
Der britische Landwirtschaftsminister Hogg behauptete, Großbritannien
werde das von den Agrarministern der Europäischen Union beschlossene
Konzept [FAZ vom 4. 4. 1996] strikt befolgen, das heißt,
Großbritannien musste also einen großen Teil der Rindherden notschlachten.
·
Das EU-Verbot von 1994 der Verfütterung von Tiermehl an Pflanzenfresser
wurde bestätigt.
·
Deutschland erhielt das Importverbot für Vieh und Fleisch aus England und
aus der Schweiz aufrecht.
Es
sind
schon
Jahre
vergangen,
seitdem die Nachricht eines Zusammenhangs zwischen Rinderseuche und
Creutzfeld-Jakob-Symptomen ganz Europa erschüttert hat.
Zwar ist in den Medien von der Rinderseuche kaum noch die Rede,
aber es kann dreierlei festgestellt werden :
·
Heute sind die Gemüter noch nicht ganz beruhigt und viele Konsumenten sind
nach wie vor misstrauisch gegenüber allen Produkten, die Rindfleisch
enthalten, und es dauert vermutlich noch lange, bis das Vertrauen zwischen
Erzeugern und Verbrauchern wiederhergestellt ist.
Der Rinderwahnsinn ist
ein lehrreiches Beispiel für die Gefahren einer industrialisierten
Landwirtschaft, die lediglich auf Rentabilität bedacht ist und dabei ganz
und gar auf Qualität verzichtet. Die Rinderwahnsinn-Krise hat gezeigt, dass
es am Ende nicht billiger ist, Rinder mit Pulver von Fleischmehlen zu
füttern, statt sie Gras fressen zu lassen.
·
Die Rinderwahnsinn-Krise hat hoffentlich das Verdienst, den Verbraucher
auf die Qualität der Produkte aufmerksam zu machen. Er muss bei der Wahl
seiner Nahrungsmittel auf der Hut sein.
Damals
haben Wissenschaftler auch im Gehirn von Zuchtlachsen Prionen gefunden.
Kein Wunder, wenn man weib,
dass
sie Tiermehl fressen, das aus Kadavern produziert wird ! Man darf nicht
vergessen, dass
die Verfütterung von Fleischmehl an Schweine, Hühner und Fische gängige
Praxis
war.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die Lektionen aus der Vergangenheit gezogen
worden sind.
Herr! die Noth ist groß :
Die ich rief als Geister,
Werd' ich nun nicht los.
Goethe
Der Zauberlehrling |
& - Frankfurter
Allgemeine Zeitung
·
Nummer 70 vom 22.03.1996
·
Nummer 71 vom 23.03.1996
·
Nummer 72 vom 25.03.1996
·
Nummer 73 vom 26.03.1996
·
Nummer 74 vom 27.03.1996
·
Nummer 75 vom 28.03.1996
·
Nummer 76 vom 29.03.1996
·
Nummer 77 vom 30.03.1996
·
Nummer 78 vom 01.04.1996
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Nummer 81 vom 04.04.1996
& - Die Zeit
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Nummer 14 vom 29.03.1996
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Nummer 22 vom 24.05.1996
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Nummer 23 vom 31.05.1996
& - Der Spiegel
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Nummer 13 vom 25.03.1996
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Nummer 14 vom 01.04.1996
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Nummer 15 vom 08.04.1996