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Schachnovelle

 

Nach dem Anschluss im Jahre 1938 ist der österreichische Erzähler aus politischen Gründen von der Gestapo verhaftet worden.

 

Das Zimmer sah nicht unbehaglich aus. Es hatte eine Tür, ein Bett, einen Sessel, eine Waschschüssel, eine Tapete an der Wand. Aber die Tür blieb Tag und Nacht verschlossen, auf dem Tisch durfte kein Buch, keine Zeitung, kein Blatt Papier, kein Bleistift liegen. Man hatte mir jeden Gegenstand abgenommen : die Uhr, damit ich nicht wisse um die Zeit, den Bleistift, damit ich etwa nicht schreiben könne.

Die Verhöre waren nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das Zurückkommen nach dem Verhör in mein Nichts, in dasselbe Zimmer, mit demselben Tisch, demselben Bett, derselben Waschschüssel, derselben Tapete an derselben Wand. Es gab nichts zu tun, nichts zu hören, nichts zu sehen. Man dachte, dachte, dachte. Nichts  geschah. Man blieb allein. Allein. Allein.

In  dieser äußersten Not ereignete sich etwas Unvorhergesehenes. Ich war wieder einmal zum Verhör gerufen worden und musste im Vorzimmer des Untersuchungsrichters warten. Plötzlich blieb mein Blick an etwas haften. Mir begannen die Knie zu zittern : ein BUCH ! Vier Monate lang hatte ich kein Buch in der Hand gehabt, kein Buch, in dem man aneinandergereihte Worte sehen konnte. Zeilen, Seiten und Blätter, kein Buch, aus dem man andere neue fremde Gedanken lesen konnte… Und wie ein Schuss durchzuckte mich der Gedanke : stiehl dir das Buch ! Und dann : ein Griff, und plötzlich hatte ich das kleine Buch in der Hand.

Nach dem Verhör gelang es mir, das Buch in mein Zimmer zu bringen. Ich wollte es aber nicht sofort lesen. Ich wünschte mir, es sollte etwas sein, das man lernen, auswendig lernen konnte, Gedichte am besten – welcher kühne Traum ! – Goethe oder Homer. Endlich schlug ich es auf.

Der erste Blick war eine Enttäuschung…

 

 

 

          Die ersten Zeilen des Textes sind der Beschreibung des Zimmers gewidmet. Das Zimmer besitzt zwar nur ein Bett, einen Sessel und eine Waschschüssel, aber es wird von ihm nicht als unangenehm empfunden. Er ist überrascht, so ein Zimmer vorzufinden, denn er war darauf nicht gefasst. Die Gestapo galt nämlich als grausam und brutal. Die Gestapo scheint auf den ersten Blick ihn relativ mild zu behandeln. Aber dann erfahren wir, dass die Tür Tag und Nacht verschlossen bleibt, dass er kein Buch, keine Zeitung und keinen Bleistift hat. Die Grausamkeit der Gestapo besteht darin, dass ihm Bücher und Zeitungen weggenommen werden. Diese Dinge stellten aber die Grundlage seiner Existenz dar und spielten in seinem Leben eine wichtige Rolle. Als Angehöriger einer intellektuellen Schicht braucht er diese Dinge zum Leben. Man versucht also, seine Persönlichkeit zu zerstören, indem man ihn seiner geistigen Nahrung beraubt. Er ist auch zeitlos, da man ihm auch die Uhr abgenommen hat. Er hat keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Er ist völlig isoliert. Er soll dazu gebracht werden, das seelische Gleichgewicht zu verlieren. Er wird einer Art Gehirnwäsche unterzogen. Zweck dieser Gehirnwäsche ist, aus ihm einen willenlosen Menschen zu machen.

             Langeweile bestimmt sein Leben. Diese Langeweile entsteht aus der Monotonie seines Lebens.  Es sieht so aus, als ob der Autor an der Grenze des Erträglichen angekommen wäre. Er erträgt die Einsamkeit nicht mehr und sehnt sich nach Abwechslung. Das Denken wird ihm zur Qual, denn seine Gedanken kreisen immer um die Leere seines Lebens.  Die Wiederholung des Wortes "allein" verweist auf das geistige Leiden des Gefangenen.

            Er hat eines Tages die Gelegenheit, ein Buch zu stehlen. Er ist so süchtig nach Kultur, dass er sich des Buches bemächtigt. Er möchte die Möglichkeit haben, in eine gefühlvolle Welt zu entfliehen, um seiner gefühllosen Welt  zu entkommen.  Er hegt die Hoffnung, dass es sich um ein Buch von Goethe oder Homer handelt. Aber er ist enttäuscht, als er feststellen muss, dass es sich keineswegs um ein literarisches Werk handelt.