Westerwelle (links) und Möllemann (rechts)
FDP - Chronologie der "Haiderisierung"

Der Fall Möllemann

Der Machtkampf zwischen FDP-Chef Guido Westerwelle und seinem Stellvertreter Jürgen Möllemann ist vorerst entschieden. Der Antisemitismusstreit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland geht jedoch weiter. FAZ.NET zeichnet die wichtigsten Stationen der Debatte nach.

4. April 2002: In einem Interview sagt Möllemann mit Blick auf Selbstmordattentate im Nahen Osten: „Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt... Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors.“

5. April: Zentralratspräsident Paul Spiegel wirft Möllemann vor, eine „gefährliche Tradition„ fortzusetzen.

23. April: Der NRW-Grünen-Landtagsabgeordnete Jamal Karsli verlässt im Streit um die israelfreundliche Nahost- Politik von Außenminister Joschka Fischer die Grünen. Noch am selben Tag wird er von der Düsseldorfer FDP-Landtagsfraktion ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung aufgenommen.

24. April: Als Ausrutscher, der sich nicht wiederholen werde, entschuldigt Karsli eine Pressemitteilung von Mitte März, in der er Israel vorgeworfen hatte, gegen die Palästinenser „Nazi-Methoden“ anzuwenden.

29. April: Möllemann schreibt einen Brief an Spiegel: Wer aus seiner Kritik an Israel eine Rechtfertigung von Selbstmordattentaten mache, wolle ihn falsch verstehen.

3. Mai: Karsli macht in der rechtextremen Zeitung „Junge Freiheit“ die Angst der Deutschen vor dem „Einfluss der zionistischen Lobby“ dafür verantwortlich, dass in Deutschland Kritik an Israel nicht möglich sei.

11./12. Mai: Möllemann weist auf dem FDP-Parteitag in Mannheim erneut Vorwürfe des Antisemitismus zurück, bleibt aber bei seiner Kritik gegen Israels Premier Ariel Scharon. Viele Liberale äußern Unmut über Karsli.

15. Mai: Der FDP-Kreisverband Recklinghausen beschließt die Aufnahme Karslis mit 10 gegen 5 Stimmen. Der Zentralrat der Juden protestiert. Vizepräsident Michel Friedman spricht von einem katastrophalen politischen Signal.

16. Mai: In der FDP wächst die Empörung über die Aufnahme Karslis. Im Fernsehen wirft Möllemann dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Michel Friedman vor, „mit seiner intoleranten, gehässigen Art“ mitverantwortlich für den Zulauf zum Antisemitismus zu sein.

18. Mai: Auch der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher geht auf Distanz zu Möllemann. Für Karsli gebe es „keinen Platz“ in der FDP. Erstmals fordert auch Westerwelle öffentlich, die Aufnahme des vormaligen Grünen rückgängig zu machen.

21. Mai: Friedman fordert die FDP indirekt auf, Möllemann aus der Partei auszuschließen. Möllemann kontert, Friedman sei größenwahnsinnig.

22. Mai: Karsli zieht seinen Antrag auf FDP-Mitgliedschaft zurück. Er soll aber in der FDP-Landtagsfraktion mitarbeiten.

24. Mai: Westerwelle lädt den Zentralrat zu einem klärenden Gespräch ein. Spiegel lehnt ab, solange es keine Entschuldigung Möllemanns gebe.

27. Mai: Eine Kolumne Möllemanns in der PDS-nahen Zeitung „Neues Deutschland“ sorgt für neue Aufregung. Mit Blick auf die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in verschiedenen europäischen Ländern spricht Möllemann von einer „Emanzipation der Demokraten“.

28. Mai: Möllemann rudert nach wachsendem Unmut in den eigenen Reihen zurück. Er bedauert erstmals seine Worte gegenüber Friedman und bietet ihm ein Vier-Augen-Gespräch an. „Ich hätte das so nicht sagen sollen und das Ganze besser bedenken müssen“, sagt Möllemann.

29. Mai: Möllemann bekräftigt seine Aussagen in einem Brief an Spiegel. Der Zentralratspräsident bleibt aber bei seiner Forderung nach einer Entschuldigung Möllemanns als Voraussetzung für ein Gespräch.

1. Juni: Der FDP-Bundesvorstand versucht mit einer “Berliner Erklärung“, die Wogen zu glätten. In dem einstimmig verabschiedeten Papier heißt es, die Liberalen missbilligen und bedauern, dass durch Äußerungen Möllemanns, Anlass für Missverständnisse entstanden sei. Weder Sharon noch Friedman könnten “für antisemitische Ressentiments verantwortlich gemacht werden“. Eine Entschuldigung von Möllemann fordert die FDP-Spitze hingegen nicht, da der Politiker seine Äußerungen bereits bedauert habe.

2. Juni: Auch Westerwelle verlangt nun den Ausschluss Karslis aus der Fraktion.

3. Juni: Möllemann setzt bei einer Sondersitzung der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion gegen den Willen Westerwelles den Verbleib Karslis in der FDP-Fraktion durch - allerdings unter Auflagen. Karsli selbst sieht sich aber nicht als Abgeordneter „auf Bewährung“ und nennt seine Parteimitgliedschaft eine Frage der Zeit.

4. Juni: Führende Liberale distanzieren sich von dem am Vorabend getroffenen Beschluss zu Karsli. Auch der Zentralrat der Juden reagiert betroffen. Es kommen Zweifel an Westerwelles Führungsstärke auf.

5. Juni: Westerwelle stellt Möllemann ein Ultimatum: Sollte Karsli kommenden Montag noch Mitglied der NRW-Fraktion sein, könne er mit Möllemann “nicht mehr vertrauensvoll zusammenarbeiten". Möllemann selbst fordert in einem Brief vom FDP-Vorsitzenden eine genaue Begründung für sein Ultimatum.
In einem Antwortschreiben verweist Westerwelle darauf, dass Karsli am Vortag einen Brief eines israelischen Journalisten mit dem Kommentar „sehr lesenswert!“ verbreitet habe, in dem die NS-Judenpolitik mit der jetzigen israelischen Palästinapolitik verglichen werde. Vor der FDP-Zentrale findet eine Demonstration der Berliner Jüdischen Gemeinde gegen antisemitische Tendenzen statt.

6. Juni: Möllemann gibt im Düsseldorfer Landtag den Austritt Karslis aus der Fraktion bekannt. Dies habe Karsli ihm am Vorabend brieflich mitgeteilt. Zugleich entschuldigte er sich für den Fall, dass er mit seinen Worten die Empfindungen jüdischer Bürger verletzt haben sollte. Westerwelle scheint die Machtprobe mit Möllemann vorerst für sich entscheiden zu haben.
Kurz darauf betont Möllemann, seine Entschuldigung habe den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern gegolten, „aber nicht Herrn Friedman“. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nimmt daraufhin seine Bereitschaft für ein Gespräch wieder zurück. Mit seiner „fortgesetzten Strategie der Doppelzüngigkeit“ habe Möllemann sich endgültig als Gesprächspartner und Demokrat disqualifiziert.

Text: @hüti (FAZ.net) Bildmaterial: AP

Epilog

5. Juni 2003: Knapp drei Monate nach dem Bruch mit der FDP kam der frühere FDP-Spitzenpolitiker Jürgen Möllemann bei einem Fallschirmsprung ums Leben, vermutlich durch Selbstmord. Die Staatsanwaltschaften Münster und Düsseldorf ermittelten gegen Möllemann wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und des Verdachts des Verstoßes gegen das Parteiengesetz.

Quitter