Die "Haiderisierung" der FDP - La "haiderisation" du FDP
(Sehen Sie auch den Chronologischen Anhang / Voir aussi la Chronologie des faits)

Jamal Karsli

Sonntag 19. Mai 2002, 12:41 Uhr

       Die umstrittenen Äußerungen des Jamal Karsli

 

       Düsseldorf (dpa) - Der von den Grünen zur FDP übergetretene nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Jamal Karsli hat in den vergangenen Wochen mit einer Presse-Mitteilung zum Nah-Ost-Konflikt und einem Zeitungsinterview bundesweit für Empörung und Proteste gesorgt. Aus Anlass der Aufnahme Karslis in die FDP am Mittwochabend dokumentiert dpa noch einmal die umstrittenen Äußerungen.

       Nach dem Einmarsch der israelischen Armee in die Palästinenser- Gebiete veröffentlichte Karsli – ohne Absprache mit seiner Fraktion - Mitte März eine Pressemitteilung unter der Überschrift: «Israelische Armee wendet Nazi-Methoden an! ». Dort schrieb er: «Gerade von Deutschen sollte auf Grund der eigenen Geschichte eine besondere Sensibilität erwartet werden, wenn ein unschuldiges Volk den Nazi- Methoden einer rücksichtslosen Militärmacht schutzlos ausgeliefert ist.»

       In einem Interview mit der Wochenzeitung «Junge Freiheit» (3. Mai) gab Karsli u.a. folgende Äußerungen von sich. Die Zeitung wird wegen des Verdachts rechtsextremistischer Agitation vom Verfassungsschutz beobachtet.

       «Man muss zugestehen, dass der Einfluss der zionistischen Lobby sehr groß ist: Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit 'klein' kriegen. Denken Sie nur an Präsident Clinton und die Monika-Lewinsky-Affäre. Vor dieser Macht haben die Menschen in Deutschland verständlicherweise Angst.»

       Auf die Frage des Interviewers: «Sie sehen eine moralische Lähmung der Deutschen durch das Verbrechen des Holocaust?» antwortete Karsli: «Ganz genau.» und fügte an späterer Stelle hinzu: «Allerdings frage ich, wie lange kann man das noch mit sich herumschleppen? Wenn ich so sensibel dem deutschen Nazi-Terror gegenüberstehe, dann muss ich gegenüber den Machenschaften von Scharon genauso sensibel sein. Deshalb betrachte ich die jetzige deutsche Außenpolitik und Gesellschaftsmoral als Doppelmoral.».

 

Sonntag 19. Mai 2002, 12:41 Uhr

       Döring und Wagner pochen auf Rückzug Karslis aus der FDP

 

       Stuttgart (dpa) - Die FDP-Landeschefs von Baden-Württemberg und Hessen, Walter Döring und Ruth Wagner, pochen auf den Rückzug des umstrittenen Ex-Grünen Jamal Karsli aus der FDP. Seine antisemitischen Äußerungen seien nicht mit den Grundwerten und Zielen der FDP vereinbar. Sie würden der gesamten Partei schaden, schrieben Döring und Wagner in einer gemeinsamen Erklärung. Falls Karsli nicht von selbst die FDP verlasse, müsse der FDP-Vorstand in NRW «dem unsäglichen Spiel ein Ende setzen», ergänzten sie. Unterdessen hat der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann das Vorziehen der Sondersitzung des FDP-Landesvorstandes abgelehnt. Mehr dazu im Thema des Tages.

 

Sonntag 19. Mai 2002, 03:22 Uhr

       Grüner Cohn-Bendit fordert Möllemanns Ablösung aus FDP-Vorstand

 

       Berlin (dpa) - Der Druck auf FDP-Vize Jürgen Möllemann wächst. Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit hat die Ablösung Möllemanns aus den FDP-Führungsgremien gefordert. Die FDP werde solange eine antisemitische Partei sein, solange Möllemann nicht zurückgetreten ist. Hintergrund ist die Aufnahme von Jamal Karsli in die FDP, die wegen dessen antiisraelischer Äußerungen umstritten ist. Zudem hatte Möllemann den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, für Antisemitismus mitverantwortlich gemacht.

Jürgen Möllemann

 

 

Mittwoch 5. Juni 2002, 07:00 Uhr

       Westerwelle will FDP zur Protestpartei umwandeln: "25 Prozent Potential" - FDP-Chef

       im stern-Gespräch kritisiert "die Tabuwächter"

Guido Westerwelle

       Hamburg (ots) - Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle will die Liberalen zur Protestpartei umwandeln und dabei auch bisherige Wähler rechts- oder linksradikaler Parteien gewinnen. "Uns ist jeder willkommen, der seinen Frust in konstruktives politisches Verhalten umsetzen will. Jetzt geht doch die Hälfte der Bürger nicht mehr zur Wahl. Das kann nicht so bleiben", sagte Westerwelle in einem Interview mit dem Hamburger Magazin stern. Er fügte hinzu: "Der Protest gegen das etablierte politische Parteiensystem kommt nicht von Rechtsaußen, sondern das ist der Protest aus der breiten Mitte. Ihm bieten wir eine neue demokratische Heimat." Wähler von PDS oder DVU hätten "früher nicht zwangsläufig mit rechtsradikaler oder kommunistischer Gesinnung" so entschieden, sondern "weil ihr Frust ein Ventil gesucht hat". Die FDP werde eine "Partei der Mitte" bleiben, wolle jedoch zur "Partei für das ganze Volk" werden. "Wenn wir verhindern wollen, dass Figuren wie Le Pen oder Haider bei uns Erfolg haben, dann müssen sich die demokratischen Parteien erneuern. Wir tun es jedenfalls."

        Westerwelle schätzt das Protestpotential, das die FDP bei der Bundestagswahl erreichen könnte, auf 25 Prozent. Deswegen sei das Wahlziel von 18 Prozent auch realistisch. Die Koalitionsfähigkeit der FDP werde unter der aktuellen Debatte um den stellvertretenden Parteivorsitzenden Jürgen Möllemann "auf keinen Fall" leiden. Zu der Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Liberalen seien "momentan nicht koalitionsfähig", sagte Westerwelle: "Wenn die FDP stark genug ist und die Wähler entgegen den heutigen Umfragen der SPD überhaupt noch mal eine Chance geben, waren die Worte Schall und Rauch." Er fügte hinzu: "Schröder bleibt für uns ein möglicher Koalitionspartner und wir für ihn garantiert auch."

       Westerwelle warf Möllemann zugleich vor, der FDP mit seinen Angriffen gegen den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, geschadet zu haben. "Diese Erklärungen verunklaren die Strategie 18, weil sie den Eindruck erwecken, als wäre das Einsammeln von Protest gleichbedeutend mit dem Verbiegen des Charakters und dem Verkauf der eigenen Seele." Auf die Frage, ob er sich nicht besser von Möllemann trennen solle, weil der eine Entschuldigung bei Friedman ablehnt, antwortete der FDP-Chef jedoch: "Ich stehe zu Jürgen Möllemann trotz dieses Fehlers." Tabubruch könne bei dem neuen Kurs der FDP kein Selbstzweck sein. Jede Gesellschaft brauche Tabus. Mit Blick auf Tabuwächter der 68er Generation fügte Westerwelle jedoch hinzu: "Diese Tabuwächter können mir gestohlen bleiben." Sie stünden "zu Recht vor ihrer Entmachtung".

 

 

Mittwoch 5. Juni 2002, 08:24 Uhr

       Westerwelle bekräftigt Werben auch um Wähler rechter Parteien

 

       Berlin (Reuters) - FDP-Chef Guido Westerwelle hat bekräftigt, dass sich seine Partei auch um Wähler etwa der rechtsextremen DVU bemühen wird. Zudem stellte sich Westerwelle auch nach Rücktrittsforderungen gegen Jürgen Möllemann hinter seinen Stellvertreter.

       "Uns ist jeder willkommen, der seinen Frust in konstruktives politisches Verhalten umsetzen will", sagte Westerwelle dem Magazin "stern" einem Vorhabbericht vom Mittwoch zufolge.

        Vor einigen Tagen hatte Westerwelle bereits gesagt, seine Partei wolle sich auch um Wähler bemühen, die die Republikaner gewählt hätten. Auf die Stimmen von Rechtsradikalen könne die FDP aber verzichten, hatte er hinzugefügt.

        Auf die Frage, ob er sich nicht besser von Möllemann trennen sollte, weil dieser sich nicht bei dem Zentralrat der Juden entschuldigt habe, antwortete Westerwelle dem Vorhabbericht vom Mittwoch zufolge: "Ich stehe zu Jürgen Möllemann trotz dieses Fehlers." Zu der Debatte, ob die FDP noch ein Koalitionspartner etwa für die SPD um Bundeskanzler Gerhard Schröder sein könne, sagte Westerwelle: "Schröder bleibt für uns ein möglicher Koalitionspartner und wir für ihn garantiert auch." Schröder hatte das Vorgehen der FDP in der Antisemitismus-Debatte scharf kritisiert und als schädlich für das Ansehen Deutschlands bezeichnet.

        Der stellvertretende FDP-Parteichef Jürgen Möllemann hatte unter anderem dem stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, vorgeworfen, mitverantwortlich für Antisemitismus zu sein. Zudem hatte Möllemann gegen den Willen von Westerwelle durchgesetzt, dass der Politiker Jamal Karsli weiter in der FDP-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen mitarbeitet. Karsli hatte dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon wegen dessen Palästinenser-Politik "Nazi-Methoden" vorgeworfen.

 

Mittwoch 5. Juni 2002, 11:57 Uhr

       SPD: Westerwelle jetzt «völlig durchgeknallt»

 

       Berlin (dpa) - Die Sozialdemokraten haben die Ankündigung von FDP- Chef Guido Westerwelle scharf kritisiert, seine Partei wolle bei der Bundestagswahl das große Protestpotenzial in der Bevölkerung von 25 Prozent ausschöpfen. «Jetzt ist er völlig durchgeknallt», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, am Mittwoch in Berlin. Mit einer Partei, die auf eine solche Strategie setze, sei eine weitere Zusammenarbeit kaum noch vorstellbar.

 

       Die SPD habe zwar die Hoffnung noch nicht endgültig aufgegeben, dass sich bei den Liberalen die «besonnenen Kräfte» doch noch durchsetzten. Wenn aber FDP-Politiker wie Hildegard Hamm-Brücher oder Gerhart Baum ihrer Partei «von der Fahne» gehen sollten, werde dies immer unwahrscheinlicher, sagte Schmidt.

 

       Der SPD-Politiker bedauerte, dass die Union von ihrer Absicht abgerückt sei, zusammen mit der Koalition eine gemeinsame Resolution über die Förderung des jüdischen Lebens im Bundestag zu verabschieden. CDU/CSU wollten nun offenbar aus rein wahltaktischem Kalkül zusammen mit der FDP eine eigene Entschließung vorlegen. SPD und Grüne hatten es abgelehnt, wegen des Antisemitismus-Streits mit der FDP in dieser sensiblen Frage gemeinsame Sache zu machen.

 

       Nach Schmidts Angaben werden sich auch zahlreiche SPD-Abgeordnete bei der für Mittwochnachmittag angekündigten Demonstration gegen antisemitische Strömungen vor der FDP-Zentrale beteiligen. Zu der Kundgebung hat die jüdische Gemeinde zu Berlin aufgerufen. Vorher wird sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit den FDP- Vorgängen befassen.

 

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